Aus dem Nähkästchen: mehr Wissen, mehr Enkeltauglichkeit

Wie Enkeltauglichkeit gelingen kann und das Bewegungstraining trotz Sauerstofftherapie ein wichtiger Baustein ist, um aktiv zu bleiben, erzählt Jutta Remy-Bartsch, Bronchiektasen-Patientin und Übungsleiterin Lungensport im Gespräch mit Michaela Frisch.

„Hallo Jutta, vielen Dank für Deine Zeit und Deinen Einsatz für dieses Interview. Aufgrund Deiner Grunderkrankung Bronchiektasen (Erweiterungen bzw. Aussackungen der Bronchien) wurde Dir zunächst eine Langzeit-Sauerstofftherapie für nachts verordnet. Diese Situation hat sich mittlerweile etwas verändert.“

„Hallo Michaela, ja, mittlerweile benötige ich das Medikament Sauerstoff oftmals auch bei Anstrengung bzw. unter Belastung.“

Wie definierst Du Belastung, wann merkst Du, dass die LTOT erforderlich ist?

Im Prinzip sendet mir mein Körper automatisch gewisse Signale. Wenn ich beispielsweise nicht mehr ohne Lippenbremse unsere Treppe hinaufkomme, ist mein Sauerstoffgehalt zu niedrig. Sollte ich dann noch körperliche Anstrengungen, wie z.B. Putzen, Staubsaugen, Fensterputzen oder Lungensport vor mir haben, benötige ich auf jeden Fall die Unterstützung in Form des Sauerstoffkonzentrators.

Werde ich plötzlich sehr müde, kann auch dies ein Anzeichen für einen reduzierten Sauerstoffgehalt im Blut sein. Ist dies der Fall, hilft mir das Medikament Sauerstoff wieder „fitter“, leistungsfähiger zu werden. Natürlich, ich könnte mich dann einfach nur in den Sessel setzen, auf die Couch oder ins Bett legen – was automatisch den Sauerstoffbedarf meines Körpers reduziert – und sagen: „Heute mache ich nichts mehr!“ Doch damit würde ich einerseits meinem ganz persönlichen Anspruch an mich selbst nicht gerecht werden, andererseits und viel entscheidender ist, dass ich weiß, wie wichtig tägliche körperliche Bewegung jeglicher Art ist, um meinen Körper und meine Lunge möglichst langfristig gesund zu erhalten.

Mal einen Tag etwas mehr Pause machen, o.k. Aber dann heißt es wieder aufstehen und, wenn erforderlich unter Zuhilfenahme des Sauerstoffs, den „inneren Schweinehund“ überwinden. Denn nur aufgrund meiner körperlichen Bewegung steckt noch Power in mir, die ich sonst nach und nach verlieren würde.

Welche Ängste, welche Sorgen hattest Du aufgrund der Verordnung der LTOT für Deinen Alltag bzw. Deine Lebensqualität?

Nach dem Gespräch mit dem Arzt gingen mir verschiedene Fragen durch den Kopf: Wie soll das in meinem Alltag gehen? Ist Flüssigsauerstoff oder ein Konzentrator besser? Was ist, wenn der Strom mal ausfällt? Hilft es meinem Körper? Kann ich damit meine Erkrankung beeinflussen, verbessern oder sogar zum Stillstand bringen? Woran muss ich alles denken, wenn ich einkaufen gehe, wenn ich über Nacht von zu Hause weg bin, wenn ich mal Urlaub machen möchte?

Wie soll eine Versorgung außerhalb der Wohnung erfolgen. Was passiert, wenn ich den Sauerstoff nicht nehmen kann oder vielleicht auch nicht will? Bleibt es bei nachts oder muss ich doch mehrfach auch tagsüber den Sauerstoff einsetzen? Kann ich weiter aktiv bleiben oder stört Sauerstoff bei der Bewegungsfreiheit? Fragen über Fragen, die sich wohl jeder Sauerstoffpatient erst nach der Verordnung stellt, denn während des Gespräches mit dem Arzt waren diese noch nicht präsent.

Wichtig wäre meines Erachtens daher, entsprechende explizite Beratungsgespräche sowohl beim Arzt als auch bei einem Versorger zu ermöglichen, um somit eine optimale Umsetzung der LTOT im sehr individuellen Alltag und der persönlichen Bedürfnisse zu gewährleisten. Auch sollte sich jeder Sauerstoffpatient seine Fragen notieren und aktiv darum bemühen, diese im nächsten Arzt- und Versorgergespräch zu klären. Auch Kontakte zu Selbsthilfegruppen und ein Austausch mit anderen Sauerstoffpatienten sind hilfreich.

Wie hat sich Deine Lebensqualität mit der Langzeit-Sauerstofftherapie verändert?

Durch und mit dem Sauerstoff kann ich besser und ruhiger schlafen. Morgens bin ich ausgeruhter und habe deutlich weniger Erschöpfungsphasen im Tagesverlauf. Meine Muskelkrämpfe sind zudem fast völlig verschwunden.

Was bedeutet Lebensqualität grundsätzlich für Dich persönlich?

Lebensfreude bedeutet für mich, dass ich trotz meiner Erkrankung noch vieles tun kann, an dem ich Freude habe. Ich versuche, aus allem das Beste herauszuholen, nicht in der Vergangenheit zu verharren oder Dingen nachzutrauern, die nicht mehr machbar sind.

Es ist sehr schön, Spazierengehen und auch Radfahren zu können. Aber eine ganz besondere Lebensfreude bedeuten meine zwei wunderbaren Enkelkinder für mich und dass ich sie „mit Schlauch in der Nase“ weiterhin betreuen, mit Ihnen toben und spielen kann.

Welche Notwendigkeiten siehst Du, damit eine korrekte Umsetzung einer verordneten Langzeit-Sauerstofftherapie gemäß den Empfehlungen der Leitlinie erfolgt und sich so letztendlich die Lebensqualität der Patienten verbessert?

Ich denke, dass deutlich mehr verständliche Erklärungen seitens des behandelnden Arztes, des medizinischen Praxispersonals, ebenso Schulungen und Unterstützungen der Versorger erforderlich sind. Patienten müssen verstehen, welche Auswirkungen ein Mangel an Sauerstoff im Körper verursacht.

Wenn in den wissenschaftlichen Leitlinien für Ärzte von einer täglich mindestens 15-stündigen Anwendung der LTOT die Rede ist, müssen diese Empfehlungen den Patienten erklärt werden. Auch, warum sogar eine 24-stündige Anwendung täglich sinnvoll ist und insbesondere, warum im Normalfall eine Sauerstofftherapie nur unter Belastung eingesetzt nicht ausreicht.

Es fehlt vor allem an verständlicher Kommunikation, an Erläuterungen. Beispielsweise bedeutet der Begriff „Belastung“ für einen Patienten durchaus etwas anderes als für einen Arzt. Einige Beispiele von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus meinen Lungensportgruppen, können das Verständnisdefizit vielleicht verdeutlichen:

„Ich nehme den Sauerstoff nur, wenn ich beim Fernsehen auf dem Sofa sitze. Der Doktor hat gesagt, ich brauche Sauerstoff nur ab und zu!“

„15 Stunden täglich hat mein Arzt gesagt, daher nehme ich den Sauerstoff, wenn ich zu Hause bin, aber nicht, wenn ich unterwegs bin.“

Beide Aussagen sind Fehlinterpretationen, da insbesondere nicht verstanden wurde, dass jegliche Form von körperlicher Bewegung einen höheren Sauerstoffbedarf auslöst. Doch sie verdeutlichen die Notwendigkeit verständlicher Erläuterungen für Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige in Bezug auf Sinn und Zweck der Langzeit-Sauerstofftherapie und ebenso hinsichtlich der richtige Versorgungsform. Je mehr Patientinnen und Patienten adäquat aufgeklärt und in Therapieentscheidungen partnerschaftlich eingebunden werden, umso größer die Therapietreue und der Therapieerfolg.

Mehr Verständnis und Aufklärung können zudem zu mehr grundsätzlicher Akzeptanz beitragen. In meinen Lungensportgruppen erlebe ich immer wieder, dass der Einsatz des Sauerstoffs abgelehnt wird mit Begründungen wie: „Wie sieht das denn aus! So gehe ich nicht unter die Leute. Dann sieht doch jeder, dass ich krank bin, und jeder schaut mich an. Außerdem ist es lästig, unbequem und alles muss vorausschauend organisiert werden.“

Dass die Sauerstofftherapie ein Hilfsmittel ist, welches das Leben im Endeffekt sogar erleichtert und vor allem die Lebensqualität erhöht, wird vielfach erst spät erkannt – oft erst, wenn die Erkrankung aufgrund der Unterversorgung sehr weit fortgeschritten ist.

Tipp: Fragen Sie bei Ihrem nächsten Besuch beim Lungenfacharzt nach einer O2-Assistentin/Assistenten. Hierbei handelt es sich um eine Zusatzausbildung für pneumologische Assistenzberufe. Jedes Jahr werden mehr O2-Assistenten ausgebildet, die über ein spezielles Fachwissen zur Langzeit-Sauerstoffversorgung verfügen und somit Sauerstoffpatient besser unterstützen können.

Welche persönlichen Erfahrungen möchtest Du anderen Betroffenen noch mitgeben?

Informieren Sie sich gut. Überlassen Sie es nicht anderen, sondern setzen Sie sich selbst mit allen für Sie wichtigen Themen auseinander. Hören Sie sich nicht nur eine Meinung an, sondern verschaffen Sie sich möglichst einen gewissen Überblick durch Vielfältigkeit. Besuchen Sie Schulungen. Entwickeln Sie aus dem ganzen Mix an Informationen eine für Sie passende eigene Strategie und Vorgehensweise.

Jeder Betroffene sollte zudem lernen, Hilfe anzunehmen und sich trauen, über das Thema der eigenen Erkrankung und die persönlichen Einschränkungen zu sprechen. Leider nehmen viele Betroffene nicht wahr, wie sehr das eigene Umfeld durch Unausgesprochenes mitleiden. Mir hat nach meiner Lungenoperation und der ersten großen Einschränkung sehr geholfen, mich mit anderen Lungenerkrankten austauschen zu können.

Einen weiteren Aspekt halte ich ebenfalls für sehr wichtig, gerade im Hinblick auf das persönliche Empfinden im Hinblick auf die Lebensqualität. Dieser Aspekt betrifft die eigene Umgangsweise in punkto „Aktiv mit der Erkrankung leben…“ oder „Ich bin krank und kann nichts mehr…“, was einen sehr großen Unterschied aus. Denn sich hängen lassen, und nichts mehr tun, führt in eine Sackgasse.

Und natürlich Bewegung in jeglicher Form. Manche Betroffene wären erstaunt, was noch alles machbar ist, trotz Sauerstoffpflichtigkeit. Sauerstoff ist ein Medikament, welches uns das Leben erleichtert und verlängert. Gut eingestellte Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Leben „am Schlauch“ arrangiert haben, können ein „fast“ normales Leben führen.

Natürlich gibt es Tage, Situationen und Momente, in denen die Maschine nervt, unpassend ist oder einfach nur stört, dennoch sollte sich jeder darüber bewusst sein, wie hervorragend es ist, dass es dieses Hilfsmittel gibt und dass man damit gut leben kann.

Liebe Jutta, vielen Dank und mach bitte so engagiert und lebensfroh weiter!

Quellen:
– Patientenzeitschrift COPD in Deutschland (Patienten-Bibliothek), Ausgabe 44 | Herbst 2024

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4 Kommentare
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Silvia Ries
1 Monat zuvor

Ich habe zu diesem Artikel auch eine Frage. Ich war im Januar aufgrund meines Lungenemphysems in Reha. Dort wurde mir gleich nach den ersten Untersuchungen Sauerstoff gegeben. Wieder zu Hause, wurde es von meinem Lungenarzt in Frage gestellt. Nach seinen Messungen nach weiteren 3 Wochen und der nächsten Untersuchung dann doch Sauerstoff. Bei der nächsten Untersuchung, dann wieder keinen. Ich bin völlig unsicher und weiß nicht mehr was ich machen soll. Bei Anstrengungen hilft er mir und ich fühle mich besser.

Gessner Annemarie
1 Monat zuvor

Zu diesem Artikel habe ich eine Frage. An wen kann ich mich wenden wenn meine Krankenkasse sich quer stellt.
Der Fall ist der.
Zu meinem nächtlichen Atemgerät bekomme ich seit einem knappen Jahr über einen stationären Konzentrator zusätzlich 2L Sauerstoff. Mein mobiler Konzentrator ist ist jedoch das Problem, da er ständig ausfällt und auch nicht Lungensporttauglich ist. Eine Geräteumstellung, für die ich ein Rezept hatte, wurde heute von der Krankenkasse abgelehnt.
Was die Mitarbeiterin der KK zu mir sagte widerspricht diesem Artikel.

Was kann ich jetzt machen. Wer hat mir einen Tipp.

Daniele Wedadi-Zeimke
1 Monat zuvor

Ich würde mir sehr mehr Lungensport Gruppen in München wünschen. Wenn man ohne Auto ist, sind die, die ich kenne umständlich öffentlich zuerreichen.

Christa Kubern
1 Monat zuvor

Auch dieser Artikel baut mich auf. Ich versuche immer, an Ihrem Lungensport teilzunehmen, doch manchen Übungen fallen mir immer schwerer,, vor allem brnge ich die Arme schwer hoch! Gibts da einen Tipp!
Schönes Wochenende
Christa Kubern

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