Post-COVID-Fatigue: Mehr als Erschöpfung
Nach Infektionskrankheiten fühlen sich viele Betroffene eine Zeitlang weniger leistungsfähig und nach Anstrengungen rascher erschöpft. Das ist in einem bestimmten Rahmen normal. Die Erfahrung der Post-COVID-Fatigue unterscheidet sich davon allerdings beträchtlich: „Es ist wie Versinken in Treibsand. Je mehr Du strampelst, umso tiefer versinkst Du.“
So oder ähnlich umschreiben Betroffene den Zustand der dauerhaften und extremen Müdigkeit, Schwäche und Erschöpfung ihrer körperlichen, psychischen und geistigen Kräfte. Häufig bestehen gleichzeitig Schlaf- und Gedächtnisstörungen und Schmerzen. Depressive Verstimmungen und Ängste im Vorfeld wirken möglicherweise als Auslösefaktoren, können aber auch als Folgeerscheinungen auftreten.
Post-COVID-Fatigue: Nur ein bekanntes Phänomen in einem neuen Zusammenhang?
Im Blog-Beitrag „Echt genesen, spät genesen, krank genesen: Leben lernen mit Corona (Teil 1)“ werden die allgemeinen Hintergründe zum Post-COVID-Syndrom (PCS) dargestellt. Als Kernsymptom sticht das Phänomen „Fatigue“ (engl. oder frz.: Müdigkeit, Erschöpfung) hervor.
Wie für das Post-COVID-Syndrom insgesamt, so gilt auch für die Post-COVID-Fatigue: Es gibt viele offene Fragen und bisher nur wenige vorläufige Antworten. Die folgenden Abschnitte bieten eine Orientierung zum Thema Post-COVID-Fatigue und psychische Auswirkungen von COVID in Form eines Frage-Antwort-Formats.
Gibt es eine anerkannte Definition für die Post-COVID-Fatigue?
Nein. Es gibt allerdings Diagnose-Kriterien für das Chronic Fatigue Syndrome (CFS)/Myalgische Enzephalomyelitis (ME):
die IOM-Kriterien,
die kanadischen Konsensus-Kriterien,
die „Four-Symtom Criteria“.
Die „Four-Symptom Criteria” (Jason LA) umfassen beispielsweise:
- Erschöpfung und extreme Müdigkeit
- Schwierigkeiten bei der Wortfindung oder dem Ausdrücken von Gedanken
- Körperliche Erschöpfung oder Krankheitsgefühl nach leichter Aktivität (Post-exertionelle Malaise = PEM)
- nicht erholsamer Schlaf
Da es erkennbare Gemeinsamkeiten zwischen CFS/ME und Post-COVID-Fatigue gibt, orientieren sich die Diagnostik und Behandlung der Post-COVID-Fatigue momentan an diesen Kriterien.
Welche Erklärungen gibt es bisher dafür, daß Fatigue nach einer Coronavirus-Infektion so häufig auftritt?
Tatsächlich berichten Studien von bis zu 98 Prozent Fatigue vier Wochen bzw. bis zu 55 Prozent Fatigue noch acht Monate nach gesicherter Coronavirus-Infektion.
Den bisher schlüssigsten Erklärungsansatz liefert dazu die sogenannte Sepsis-Hypothese. Aufgrund der Besonderheiten des SARS-CoV-2-Virus gleicht das Krankheitsbild COVID eher einer Sepsis als beispielsweise einer Grippe. Fatigue ist als Sepsis-Spätfolge schon länger bekannt. Sie läßt sich in diesem Zusammenhang aufgrund der bisherigen Befunde als Autoimmun-Prozeß bzw. als Dauerentzündung im Nervensystem deuten.
Woher kommt die rasche, heftige und anhaltende Erschöpfung nach körperlicher, psychischer oder geistiger Anstrengung?
Unter dieser Belastungsintoleranz leiden viele Betroffene. Der Fachausdruck lautet: Post-exertionelle Malaise (PEM). Dieses Phänomen wird als „Crash“ erlebt: Schon leichte Anstrengung führt für Stunden bis Tage oder gar Wochen zu einer starken Verschlechterung der Beschwerden.
Als Ursache wird eine Fehlsteuerung der Blutverteilung unter Belastung angenommen. Deshalb ist es bei Fatigue wichtig, Überlastungen zu vermeiden – ohne in ein ungünstiges Schonverhalten zu verfallen.
Gibt es Erkenntnisse zu Risikofaktoren für eine Post-COVID-Fatigue?
Es gibt Hinweise auf Risikofaktoren, die allgemein für das Post-COVID-Syndrom und speziell für die Post-COVID-Fatigue gelten. Dazu zählen:
- weibliches Geschlecht,
- erhöhter Body-Mass-Index (BMI),
- vorbestehendes Asthma,
- höheres Lebensalter,
- mehr als fünf Symptome in der COVID-Akutphase.
Gibt es Überlappungen zwischen Fatigue und psychischen Beschwerden beim Post-COVID-Syndrom (PCS)?
Fatigue kann beim PCS-Symptomüberlappungen zeigen oder gleichzeitig mit psychischen Störungen auftreten. Angsterkrankungen und Depressionen begünstigen die Entwicklung einer Post-COVID-Fatigue.
Mitunter ist es also notwendig, neben der Fatigue-Diagnostik (z. B. mit Fragebögen wie Fatigue Severity Scale oder Fatigue Assessment Scale) auch nach den Kernsymptomen einer Depression oder eine Angststörung (z. B. mit Fragebögen wie HADS oder PHQ) zu fahnden.
Fatigue wird als psychisch belastendes Symptom zwar am häufigsten genannt, ist jedoch keineswegs die einzige psychische Beeinträchtigung im Zusammenhang mit einem PCS. Deshalb empfiehlt die S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID:
„Psychische Beeinträchtigungen sollten angehört, ernst genommen und diagnostisch abgeklärt werden. Bei Verdacht auf Einschränkungen der psychischen Gesundheit (anhaltende Erschöpfung, anhaltende Niedergeschlagenheit, unbegründete Ängste, Einschränkung der Lebensqualität usw.) sollte eine entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden, um frühzeitig eine adäquate Behandlung in die Wege leiten zu können und Chronifizierung zu verhindern.“
Können anhaltende Traurigkeit und belastende Erinnerungen auch ein Zeichen von Post-COVID-Syndrom sein?
Die Diagnose „Corona“ oder die Erkrankung an COVID kann für Betroffene wie ein Schock wirken und hohen Streß auslösen. Dadurch können sich anhaltende körperliche Streßsymptome, aber auch Ängste, bedrückte Stimmung oder belastende Erinnerungen entwickeln. Bisher gibt es nur Hinweise auf mögliche Zusammenhänge, jedoch noch keine verläßlichen Daten, z. B. darüber, wie lange solche Symptome nach einer Coronavirus-Infektion auftreten oder andauern können.
Die Leitlinien empfehlen, auch im Hinblick auf die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), eine Untersuchung mittels Fragebogen (z. B. Impact of Event Scale), falls Betroffene entsprechende Beschwerden schildern.
Welche Herausforderungen ergeben sich für den Umgang mit den psychischen Beschwerden beim Post-COVID-Syndrom, vor allem für die Behandlung von Fatigue?
Vorrangig sollten Lösungen für die wichtigste Herausforderungen gefunden werden.
- Wie sehen angemessene psychosomatische Angebote für Betroffene in der medizinischen Basisversorgung aus?
Bisherige Vorschläge empfehlen eine erste Grundversorgung durch die Haus- oder Facharztpraxis. Diese Grundversorgung sollte folgende Elemente umfassen: Sorgfältige Untersuchung, einfühlsame Beruhigung, Ermutigung zu gesundem Lebensstil und bei Bedarf Wiedervorstellung nach 2 bis 4 Wochen.
- Wie kann eine spezialisierte Behandlung für Fatigue im Rahmen eines PCS ermittelt und zügig vermittelt werden?
Dazu bedarf es einer erweiterten Grundversorgung mit Simultandiagnostik (körperliche und psychische Aspekte). Bereits im Rahmen dieser erweiterten Grundversorgung sollte ein individuelles Krankheitsmodell erarbeitet und bewältigungsorientierte Therapiemaßnahmen eingeleitet werden. Zu den bewältigungsorientierten Ansätzen zählen: Psychoedukation (erklären und benennen), Arbeit an Erwartungen und Zielen, Stärkung der Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit.
- Wie sieht eine multimodale Fatigue-Behandlung im Einzelnen aus?
Eine multimodale Behandlung umfaßt Therapiemaßnahmen aus verschiedenen medizinischen Disziplinen (somatische, psychosomatische, komplementäre Therapie) und kann in unterschiedlichen Settings (ambulant bis stationär) erfolgen. Notwendig sind dazu der Aufbau eines ambulanten Behandlernetzwerks oder die (teil)stationäre Behandlung im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme.
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Quellen:
– S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID
– Patienten-Leitlinie Long-/Post-COVID-Syndrom
– Buchberger, B., Zwierlein, R., & Rohde, V. (2022). Post-Corona-Fatigue–das bekannte Bild in neuem Gewand?. Der Onkologe, 28(4), 340-346.
– Hellwig, S., & Domschke, K. (2022). Post-COVID-Syndrom–Fokus Fatigue. Der Nervenarzt, 1-7. Weingärtner, A. L., & Stengel, A. (2021). Fatigue bei Long COVID. PPmP-Psychotherapie· Psychosomatik· Medizinische Psychologie, 71(12), 515-527.
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