„Argument“ Nummer 2: „Verschlechterung bedeutet: Die Ärzte können bald nichts mehr machen.“
Auch zu diesem „Argument“ zunächst nochmal das Wichtigste: Es gibt im Krankheitsverlauf keine Situation, in der man „nichts mehr machen kann.“ Die Behandlung muss nicht zur Heilung führen, sollte aber stets Linderung und eine bessere Lebensqualität anstreben.
Im Zusammenhang mit diesem „Argument“ lassen sich in den Leser-Kommentaren drei Herausforderungen identifizieren.
Herausforderung 1: Die Scheu vor dem Thema „Verschlechterung“ verlieren.
Herausforderung 2: Die individuell angemessene Versorgung im Alltag regeln.
Herausforderung 3: Die Palliativmedizin einbeziehen.
Herausforderung 1: Die Scheu vor dem Thema „Verschlechterung“ verlieren.
„Der Appell rechtzeitig die Versorgungsfrage zu klären, assoziiert bei mir unbeschreibliches Leid, Abschied und Tod.“
Oder auch:
„Und doch blicke ich sorgenvoll in die Zukunft, wie lange geht´s noch, was kommt auf mich zu, was muss ich erwarten?“
Beide Aussagen lassen auf Ängste bei Blick in die Zukunft schließen. Diese sorgevollen Erwartungen berichten viele Patienten mit fortschreitenden Lungenerkrankungen. Der Fachausdruck dafür lautet: Progredienzangst (von lat. progredere = voranschreiten).
Diese Progredienzangst kann man vermeiden oder verdrängen. Das kostet zum einen Kraft; zum anderen führt es dazu, dass die verdrängten Inhalte zu scheinbar unberechenbaren „Monstern“ heranwachsen.
Natürlich kann die Verschlechterung einer chronischen Lungenerkrankung mit Leid, Abschied und Tod einhergehen – aber das individuelle Leid, der individuelle Abschied und der individuelle Tod sind eben gerade NICHT „unbeschreiblich“. Im Gegenteil: Meist können Patienten sehr genau beschreiben, was sie jeweils im Hinblick auf „Leid, Abschied, Tod“ am meisten fürchten:
- Für den einen sind es Atemnot, Schmerzen oder andere körperliche Beschwerden,
- für den anderen sind es Einsamkeit und Isolation,
- für den dritten sind es Kontrollverlust und Abhängigkeit,
- für den vierten sind es noch andere Belastungen…
Hilfreiche Strategien zum Umgang mit Progredienzangst sind beispielsweise:
- Die individuellen Angstinhalte im Austausch mit einem einfühlsamen Gegenüber zum Ausdruck bringen,
- die Ängste als normal und verständlich würdigen,
- gemeinsam Verarbeitungsmöglichkeiten zusammentragen,
- (mit Unterstützung durch Sachkundige) nach Vorsorgemöglichkeiten Ausschau halten.
Die oben angeführten Schritte sind ein Element aus einem sogenannten Progredienzangst-Training. Gänzlich verschwinden werden die nachvollziehbaren Ängste dadurch vermutlich nicht; aber das „Monster“ lässt sich hoffentlich nach und nach zähmen.
Herausforderung 2: Die individuell angemessene Versorgung im Alltag regeln.
„Mein Zustand verschlechtert sich rapide. Ich lebe allein und weiß momentan wirklich nicht, wie es weitergehen soll.“
Diese Aussage klingt nach dringendem Handlungsbedarf. Eigentlich sollte man vorausschauend Vorsorge treffen und (besonders als Alleinstehender) frühzeitig ein Unterstützungs-Netzwerk knüpfen. Aber manchmal wird man von der Verschlechterung überrollt und muss dann rasch für Entlastung sorgen.
Es gilt zu klären, welche Versorgungsangebote konkret im jeweiligen Fall notwendig sind. Hilfestellung bei der Suche nach den passenden Gesundheitsdienstleistern bieten hierbei vor allem:
- Sozialdienste im Krankenhaus (beispielsweise bei stationären Behandlungen wegen einer Exazerbation),
- Case Manager der Krankenkasse (ggf. über die Sachbearbeiter der GKV erfragen),
- Beratungsstellen und Patientenorganisationen (siehe: https://www.leichter-atmen.de/copd-beratungsstellen ).
Herausforderung 3: Die Palliativmedizin einbeziehen.
„Vor ein paar Tagen hat mein Hausarzt gesagt, ich sei austherapiert.“
Es ist verwunderlich, dass Patienten immer noch eine solche Aussage hören müssen. Nach dem Verständnis der (Palliativ-)Medizin gibt es nämlich stets Möglichkeiten, etwas für Patienten zu tun.
Therapie umfasst seit Hippokrates: heilen – lindern – trösten.
Die Palliativmedizin bietet gerade für Patienten mit fortgeschrittenen Lungenerkrankungen zahlreiche Optionen:
- Atemnot-Ambulanzen (z. B. in München – https://www.lmu-klinikum.de/atemnotambulanz ),
- Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung,
- Palliativstationen,
- Hospize und ambulante Hospizdienste.
Eine ausgezeichnete Orientierungshilfe im Dschungel der verschiedenen Angebote bietet der „Wegweiser Hospiz- und Palliativversorgung Deutschland“ ( https://www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de/ ). Dieser Wegweiser ist sehr übersichtlich und nutzerfreundlich gestaltet.
Welche Hilfestellungen bieten die verschiedenen Angebote der Palliativ-Versorgung für Patienten mit fortgeschrittenen Lungenerkrankungen?
Atemnot-Ambulanzen:
Atemnot-Ambulanzen bieten einen „Blumenstrauß an Maßnahmen“ (so die Initiatorin der Atemnot-Ambulanz München, Prof. C. Bausewein). Der Schwerpunkt des Angebots liegt auf Physiotherapie und Selbstmanagement.
SAPV und Palliativstationen:
Die Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV) und die Palliativstationen bieten intensive medizinische Therapie. Diese medizinische Behandlung ist eingebettet in ein ganzheitliches Konzept und zielt sowohl auf körperliche, als auch auf soziale und existentielle Belastungen.
Hospize und Hospizdienste:
Die Träger der stationären Versorgung (in einem Hospiz) und ambulanten Hospizbegleitung bei fortgeschrittenen (Lungen-)Erkrankungen sind meist Hospizvereine mit hochmotivierten und engagierten (ehrenamtlichen) Mitarbeitern. Diese ermöglichen den „Hospiz-Gästen“ bzw. den ambulant betreuten Patienten eine Begleitung am Lebensende, die körperliche, seelische, spirituelle und soziale Bedürfnisse berücksichtigt.
Es ist selten zu früh und (fast) nie zu spät!
Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Versorgung bei Verschlechterung“ und die Vernetzung mit den Anbietern sollte idealerweise bereits in den „besseren Zeiten“ der Erkrankung stattfinden. Dadurch wird meist auch klar, dass ein Patient nur selten „alleine“ krank ist. Die Palliativmedizin kümmert sich bei Bedarf ganz selbstverständlich um die gesamte „Betreuungseinheit“ rund um den Patienten (Partner, Kinder, Freunde, Nachbarn…).
Mit dem Begriff „Betreuungseinheit“ sind wir automatisch beim „Argument“ Nummer 3 aus dem 1. Beitrag dieser Blog-Serie angelangt: „Ich möchte meine Angehörigen nicht damit belasten, dass es mir immer schlechter geht.“
Dieses „Argument“ tauchte in den meisten Kommentaren direkt oder indirekt auf. Weil die Kommunikation (über Befürchtungen, Erwartungen, Bedürfnisse, Wünsche, Abneigungen und vieles mehr) in der „Betreuungseinheit“ beim Thema „Verschlechterung“ eine ganz zentrale Rolle spielt, widme ich mich im nächsten (und letzten) Teil dieser Blog-Serie dem Austausch zwischen Patienten, Kümmerern und Behandlern.
Gerne können Sie auch diesmal wieder in den Kommentaren unter dem Blog-Beitrag Ihre Überlegungen, Fragen und Vorschläge anführen. Oder Sie schreiben mir direkt via E-Mail (service@psychopneumologie.de).
Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen.
Monika Tempel
Quellen:
– Foto: megaflopp / istock.com