„Argument“ Nummer 3: „Ich möchte meine Angehörigen nicht damit belasten, daß es mir immer schlechter geht.“
Auch zu diesem oft geäußerten „Argument“ zunächst nochmal das Wichtigste: Erkrankte und Angehörige haben häufig das Gefühl, man müsse sich gegenseitig vor der Realität schützen. Deshalb werden Befürchtungen, Sorgen, Ängste und andere belastende Gefühle oder Gedanken zurückgehalten. Statt sich zu offenbaren, spielt man (bewußt oder unbewußt) etwas vor, um das Gegenüber zu schonen.
Typische Aussagen von Patienten lauten in diesem Zusammenhang:
- „Reden ändert ja doch nichts und macht es meinen Angehörigen nur schwerer.“
- „Meine Frau würde es nicht aushalten, wenn sie wüßte, wie sehr mich die Krankheit wirklich belastet.“
Aber auch Angehörige neigen zu dieser Vermeidungsstrategie:
- „Ich versuche, mir meine Sorgen und Ängste nicht anmerken zu lassen, weil das die Atemnot bei meinem Partner verschlimmern könnte.“
- „Wenn die Befunde schlechter sind, bemühe ich mich, nach außen besonders positiv zu wirken.“
Dieses Phänomen im Rahmen der gemeinsamen Krankheitsbewältigung ist so weitverbreitet, daß die Forschung ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet hat. In der Fachsprache heißt dieses Schonverhalten „protective buffering“ (engl. protective = schützend; buffering = Abpufferung). Es lohnt sich, dieses Phänomen etwas genauer anzuschauen.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht!
Die zahlreichen Untersuchungen zum „protective buffering“ bei fortgeschrittenen Erkrankungen fördern Erstaunliches zutage:
- Die allermeisten Annahmen, die als Begründungen für das wechselseitige Schonverhalten herhalten müssen, beruhen auf „Gedankenlesen“, d. h. auf dem vermeintlichen Wissen um das Befinden des Gegenübers. Eine offene Kommunikation über die tatsächlichen Gefühle und Gedanken hat vorher in der Regel nicht stattgefunden.
- „Protective buffering“ kann kurzfristig entlastend und beruhigend wirken, weil die zusätzliche Belastung durch eine Streßkommunikation zunächst vermieden wird.
- Langfristig wirkt sich „protective buffering“ jedoch nachteilig auf die Beziehungs- und Lebensqualität der Partner aus.
- Die Balance zwischen Offenheit und Schonung ist entscheidend: Ständig über die Verschlechterung zu sprechen ist ebenso wenig hilfreich wie eine komplette Vermeidung dieses Themas.
Wie kann ein Gespräch gelingen?
Für ein gelingendes Gespräch sind grundlegende Kommunikationsfertigkeiten hilfreich:
- Ich-Botschaften („Es fällt mir schwer, mit Dir über die zunehmende Atemnot zu sprechen; aber es ist mein dringlicher Wunsch, um Dich besser unterstützen zu können.“)
- Aktives Zuhören („Verstehe ich Dich richtig, daß Du Dir mehr Unterstützung an schlechten Tagen und mehr Motivation zu Aktivitäten an guten Tagen wünschst?“)
- Beziehungs-Rituale (z. B. feste, zeitlich begrenzte Ziel-Gespräche – dazu mehr im Abschnitt zur „Ich im Wir“-Intervention)
Es folgen nun ein paar Tipps für typische schwierige Gesprächssituationen.
Wenn der Andere nicht über die Krankheit und die damit verbundenen Belastungen reden möchte:
- Sei einfach anwesend und nimm den Druck, reden zu müssen.
- Frage, was dem Anderen gerade wichtig ist.
- Teile etwas aus Deinem eigenen Leben mit.
- Gib Dir und dem Anderen ein Zeitlimit („Ich habe gerade mal ein paar Minuten und dachte, wir könnten uns mal zusammensetzen…“).
Wie man ein Gespräch über „schwierige“ Themen beginnen kann:
- „Ich weiß, daß wir alle im Moment mit belastenden Dingen zurechtkommen müssen…“
- „Ich kann mich am besten mit den Schwierigkeiten arrangieren, wenn Du…“
- „Es würde mir wirklich helfen, wenn Du…“
Wie man ein Angebot ablehnen kann, das nicht hilfreich ist:
- Bedanke Dich bei der anderen Person.
- Erkenne das Hilfsangebot des Anderen an.
- Sage, welche Probleme dieses Angebot konkret für Dich verursacht.
- Erkläre, daß Du das Angebot nicht annehmen kannst.
- Schlage eine Alternative vor, wie der Andere Dir helfen kann.
Wie man sagen kann, daß man etwas nicht tun kann, was verlangt wird:
- „Ich werde nicht in der Lage sein, diesen Teil der Pflege zu übernehmen.“
- „Welche anderen Möglichkeiten gibt es, wenn ich das nicht tun kann?“
- „Ich komme an meine Grenzen und benötige Unterstützung von außen.“
Nach diesen erprobten Tipps folgen nun noch zwei mögliche neue Wege, die in der Gesundheitskommunikation erforscht werden.
Die „Ich im Wir“-Intervention für einen offenen Austausch bei fortgeschrittener Erkrankung
Manchmal sind es Nuancen, die einen Unterschied machen. Beim Thema „Verschlechterung“ kann beispielsweise der Perspektivenwechsel weg von den Belastungen hin zu den Zielen einen offenen Austausch fördern.
Die „Ich im Wir“-Intervention (entwickelt von Dana Ketcher und Kollegen) konzentriert sich auf den strukturierten Austausch über Ziele, um die Kommunikation zwischen Patienten und Angehörigen bei fortgeschrittener Erkrankung zu verbessern. Bisher wurde diese Intervention nur in einem Klinik-Setting erprobt. Die Ergebnisse sind jedoch so verheißungsvoll, daß eine Anpassung an ambulante Verhältnisse erstrebenswert erscheint.
Die Intervention umfaßt zwei Schritte und ist denkbar einfach.
Schritt 1: Zielbeschreibung
Patient und Angehöriger schreiben (unabhängig voneinander) Ziele in zwei Bereichen auf:
- Zwei Ziele, die jeder allein für sich selbst anstrebt.
- Zwei Ziele, die gemeinsam angestrebt werden.
Bedingung: Jeweils eines der Ziele soll „nicht-medizinisch“ sein (d. h. nicht im Zusammenhang mit der Therapie und dem Krankheitsverlauf stehen).
Schritt 2: Zieldiskussion
Patient und Angehöriger tauschen sich (möglichst gleichberechtigt) zehn Minuten lang über die aufgelisteten Ziele aus.
Diese scheinbar so simple Intervention führte zu erstaunlichen Aussagen bei den Beteiligten:
- „In acht Minuten haben wir mehr über unsere Ziele und unsere Beziehung gesprochen, als in Jahren zuvor.“
- „Es war gut, daß wir über Dinge reden konnten, die sonst unter den Teppich gekehrt werden.“
- „Am wichtigsten war, Zeit zu haben, auf den Anderen zu hören, nicht nur zu reden.“
Mit Sprachbildern die Tür zu schwierigen Themen eröffnen
„Eine gemeinsame Sprache sprechen“ gilt als ein Zeichen von Vertrautheit und spendet meist Sicherheit. Deshalb raten Kommunikationstrainer dazu, vor allem die Sprachbilder (Metaphern) des Gesprächspartners zu beachten und aufzugreifen. Dieses Vorgehen kann auch Gespräche über Verschlechterung bei fortgeschrittener Erkrankung ermöglichen bzw. erleichtern.
Ein englisches Forschungsteam (um Veronika Koller) hat untersucht, welche Metaphern Patienten und Angehörige wählen und welche Bedeutung für die Kommunikation diese Metaphern haben können.
Die meisten Metaphern stammen aus zwei Bereichen:
- Kampf
- Reise
Eine typische Aussage im Zusammenhang der Kampf-Metapher lautet beispielsweise:
„Ich will kämpfen. Die Krankheit soll nicht mich besiegen, ich will sie besiegen.“
Kämpfen, besiegen, schlagen, zurückdrängen, usw. bezeichnen den vielbeschworenen „Kampfgeist“. Er galt lange als wichtigste Voraussetzung für einen guten Umgang mit einer schweren Erkrankung. Inzwischen betrachtet man den „Kampfgeist“ differenzierter: Er kann zur gegenseitigen Ermutigung und Stärkung führen. Patienten und Angehörige können sich aber auch machtlos angesichts eines übermächtigen Gegners fühlen oder sich die Schuld geben, wenn die Krankheit „trotz Kampfgeist“ voranschreitet.
Eine typische Aussage im Zusammenhang der Reise-Metapher lautet beispielsweise:
„Meine Reise ist nicht immer leicht. Jeder muß seinen eigenen Weg durch das Dickicht finden…“
Hilfreich ist die Reise-Metapher vor allem, wenn es „Mitreisende“ gibt, seien es Angehörige oder Mitbetroffene.
Seltener werden Metaphern aus anderen Bereichen gewählt:
- Tiere („Das Biest ist wieder da.“)
- Sport und Spiel („Das Leben mit der Krankheit ist eher ein Marathon als ein Sprint.“)
- Märchen und Magie („Ich muß meine Drachen bekämpfen.“)
- Technik („Der Therapiealltag ist wie eine Tretmühle.“)
Metaphern haben in der Kommunikation vielfältige Funktionen:
- Sie sind Ausdruck der Selbstwahrnehmung.
- Sie können Beziehung stiften.
- Sie können Empathie und Unterstützung vermitteln.
- Sie können Widerstand gegen die Krankheit oder deren Akzeptanz ausdrücken.
- Sie können Ausdruck von Stärke oder Ausdruck von Ohnmacht sein.
Um die Tür zu schwierigen Themen bei fortgeschrittener Erkrankung zu öffnen, kann es hilfreich sein, die individuellen Metaphern einfühlsam aufzugreifen. Mit den Sprachbildern werden die Erfahrungen, Gefühle und Bedürfnisse aufgegriffen und der offene Austausch zwischen Patienten und Angehörigen gefördert.
Gerne können Sie auch diesmal wieder in den Kommentaren unter dem Blog-Beitrag Ihre Überlegungen, Fragen und Vorschläge anführen. Oder Sie schreiben mir direkt via E-Mail (service@psychopneumologie.de).
Daß dieser offene Austausch immer besser gelingen möge, wünscht Ihnen
Monika Tempel
Quellen:
– Foto: Marco VDM / istock.com
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